magicmarcy.de | Der Unterschied zwischen „funktioniert“ und „ist fertig“

Der Unterschied zwischen „funktioniert“ und „ist fertig“

Zwischen den Zeilen • 18. Dezember 2025 • Lesezeit: 5 Minuten

Es gibt einen entscheidenden Moment in der Softwareentwicklung, an dem sich zeigt, ob jemand wirklich verstanden hat, was professionelles Programmieren bedeutet: der Moment, in dem der Code zwar „funktioniert“, aber noch längst nicht „fertig“ ist. Viele verwechseln diese beiden Zustände. Ein Stück Software, das „funktioniert“, erfüllt vielleicht auf den ersten Blick seinen Zweck – es liefert das erwartete Ergebnis, zeigt keine offensichtlichen Fehler und läuft ohne Absturz. Doch „fertig“ ist sie erst, wenn sie auch in einem halben Jahr, nach mehreren Änderungen, neuen Anforderungen und einem anderen Entwickler am Code, noch zuverlässig und nachvollziehbar funktioniert.

Zwischen diesen beiden Begriffen liegt der Unterschied zwischen kurzfristigem Denken und nachhaltiger Entwicklung. Code, der einfach nur „funktioniert“, ist oft das Ergebnis eines pragmatischen Ansatzes: Hauptsache, die Aufgabe ist gelöst. Doch Softwareentwicklung endet nicht mit der Funktion. Sie beginnt mit ihr. Denn Software ist ein lebendes System. Anforderungen ändern sich, Rahmenbedingungen verschieben sich, Entwickler kommen und gehen. Wenn der Code diesen Veränderungen nicht standhält, weil er schwer zu lesen, unzureichend dokumentiert oder untestbar ist, dann war er vielleicht schnell geschrieben – aber teuer.

Wartbarkeit ist der erste Schlüsselbegriff in diesem Zusammenhang. Ein wartbarer Code ist einer, der sich ohne unnötigen Aufwand anpassen, erweitern oder reparieren lässt. Das bedeutet nicht, dass er besonders „clever“ geschrieben ist – im Gegenteil. Wartbarer Code ist oft unspektakulär, manchmal fast langweilig. Er folgt klaren Strukturen, hält sich an Namenskonventionen, vermeidet unnötige Abhängigkeiten und kapselt Verantwortlichkeiten sinnvoll. Er lässt sich lesen, ohne dass man das gesamte System im Kopf rekonstruieren muss. Wartbarkeit entsteht durch Einfachheit, nicht durch Genialität.

Lesbarkeit wiederum ist die Grundlage dafür. Ein Code, der nicht lesbar ist, kann nicht gewartet werden. Lesbarkeit bedeutet, dass jemand, der den Code nicht geschrieben hat, ihn verstehen kann – und zwar ohne stundenlanges Debugging oder gedankliches Puzzeln. Das setzt voraus, dass Variablen und Methoden so benannt sind, dass sie ihren Zweck widerspiegeln, dass die Struktur logisch ist, und dass unnötige Komplexität vermieden wird. Lesbarkeit ist kein Selbstzweck, sondern eine Form der Kommunikation. Code wird nicht für den Computer geschrieben – der versteht ohnehin alles. Code wird für Menschen geschrieben, die ihn lesen, verstehen und verändern müssen.

Testbarkeit schließt den Kreis. Ein Code, der schwer oder gar nicht testbar ist, ist selten robust. Testbarkeit ist ein direktes Ergebnis guter Strukturierung und Entkopplung. Wer in Modulen denkt, Abhängigkeiten minimiert und Schnittstellen klar definiert, schafft die Grundlage für automatisierte Tests. Diese Tests sind keine bürokratische Pflicht, sondern ein Werkzeug, um Vertrauen in den eigenen Code zu schaffen. Sie erlauben Veränderungen, ohne Angst vor unbeabsichtigten Nebenwirkungen zu haben. Ein System, das getestet werden kann, ist ein System, das weiterentwickelt werden kann.

Der Unterschied zwischen „funktioniert“ und „ist fertig“ zeigt sich besonders deutlich in der Wartung. Code, der nur auf Funktion ausgelegt ist, bricht schnell zusammen, sobald eine neue Anforderung hinzukommt. Oft hat man es dann mit sogenanntem „technischen Schulden“ zu tun: kurzfristigen Entscheidungen, die langfristig teuer werden. Schlechte Struktur, fehlende Tests und unklare Verantwortlichkeiten führen dazu, dass Änderungen riskant werden. Jede Anpassung kann unerwartete Fehler nach sich ziehen, und niemand traut sich mehr, etwas zu ändern. Irgendwann erreicht das System den Punkt, an dem es billiger wäre, es neu zu schreiben, als es weiterzupflegen.

In der professionellen Softwareentwicklung geht es deshalb nicht darum, schnell Ergebnisse zu produzieren, sondern tragfähige Ergebnisse. „Fertig“ bedeutet, dass der Code nicht nur heute läuft, sondern auch morgen verstanden und angepasst werden kann. Es bedeutet, dass er dokumentiert, getestet und logisch strukturiert ist. Dass er nicht auf impliziten Annahmen beruht, sondern auf klaren Schnittstellen. Dass er sich in das Gesamtbild der Anwendung einfügt, ohne versteckte Abhängigkeiten zu schaffen.

Ein Entwickler, der nur darauf achtet, dass etwas funktioniert, arbeitet auf den Moment hin. Ein Entwickler, der dafür sorgt, dass etwas fertig ist, arbeitet auf die Zukunft hin. Diese Haltung unterscheidet Handwerk von Professionalität. Dabei geht es nicht um Perfektionismus. Kein Code ist fehlerfrei, kein Design ewig haltbar. Aber es geht um Sorgfalt, um das Bewusstsein, dass der eigene Code Teil eines größeren Systems ist – eines Systems, das wachsen, sich verändern und bestehen muss.

Das Verständnis dieses Unterschieds ist auch eine Frage der Verantwortung. Wenn ein Entwickler Code schreibt, trägt er Verantwortung gegenüber dem Team, dem Unternehmen und den Nutzern. Wartbarkeit, Lesbarkeit und Testbarkeit sind keine „nice-to-have“-Eigenschaften, sondern ein Ausdruck von Professionalität. Wer sie ignoriert, überlässt künftige Kollegen Chaos und Frust. Wer sie berücksichtigt, schafft die Grundlage für Stabilität und Vertrauen – im Code und im Team.

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Hi, ich bin Marcel!
Als Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung und IHK-geprüfter Ausbilder teile ich auf meinem Blog Grundlagen- und Fortgeschrittenen-Wissen für angehende Entwickler*innen und Interessierte, sowie weitere spannende Themen aus der IT.

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